An wen soll ich schreiben? An Gott?

Pressestimmen:


Rudolf Habringer | Salzburger Nachrichten

Ein Leben lang nicht vergessen

Ein Stück über Zwangsarbeiter während der NS-Zeit

Ein Raum in einem abbruchreifen Haus. Stühle stapeln sich, Schachteln mit Briefen und Dokumenten, auf einem Bettgestell eine nackte Matratze. Im Hintergrund ein Windfang: Die Tür nach draußen ist vermauert (Bühne: Gerti Rindler-Schantl). Drei Männer und zwei Frauen, sind an diesem Unort versammelt, monologisieren, gefangen, gequält von Erinnerungen an die Jahre, die sie während des Krieges als Zwangsarbeiter in den damaligen Hermann-Göring-Werken in Linz verbrachten.

 

"An wen soll ich schreiben? An Gott?". Das ist die resignative Frage des aus der Ukraine stammenden Dr. Derid, nachdem er vergeblich versucht hatte, bei verschiedenen Behörden eine Bestätigung für seine Pension zu erhalten. Dieser Frage verdankt der beeindruckende Linzer Theaterabend den Titel.Das Stück entfaltet eine Topographie des Schreckens, der sich das Linzer Publikum schwer entziehen kann: Die Ortsnamen, die genannt werden, liegen sozusagen gleich um die Ecke: Schörgenhub, Niedernhardt, Spallerhof.

 

Von 1998 bis 2000 arbeitete der Autor, der Psychohistoriker Karl Fallend, als Mitglied einer Kommission im Auftrag der Voest an einer Dokumentation über die NS-Zwangsarbeit in Linz. Das Stück - ein Auftragswerk des Linzer Landestheaters - ist eine Montage aus mehr als 100 Stunden Gesprächen mit ehemaligen Zwangsarbeitern.

 

Der Abend leistet mehr als ein bloß sorgfältig gemachtes Stück Dokumentartheater. Mit großem Respekt sind der Autor, die Dramaturgin Brigitte Heusinger und der Regisseur Nikolaus Büchel mit den Aussagen der Befragten umgegangen. Jede Faktenhuberei, jede Schwarzweißmalerei wird vermieden. Sprachliche Ungenauigkeiten in den Interviews werden belassen - gerade dadurch gewinnen die Personen Kontur und Authentizität: Brüche, Versprecher, Korrekturen, eigene Wertungen fließen in diese Berichte ein: Berichte vom Alltag der Zwangsarbeiter, von Gasthausbesuchen, einem Fußballspiel gegen die Wachmannschaft des KZ Mauthausen, Berichte von physischer und psychischer Gewalt, Folter und Mord.

 

Nikolaus Büchels sensible und genaue Inszenierung führt die Fragmentarität und Brüchigkeit von Erinnerung vor Augen. Wenn die Akteure nach Worten für ihre Erfahrungen ringen, die Sprache fehlt, kommen die Stichworte von der Souffleuse. Ein exzellentes Ensemble schafft Figuren von eindrücklicher Nachhaltigkeit. Das werde ich mein Leben lang nicht vergessen, wiederholt ostinatohaft Dr. Derid. Vasilij Sotke stattet diese Figur mit zurückgenommener Emotionalität aus. 

 

Traumatisiert sind sie alle, jeder versucht auf seine Weise das Geschehene zu verarbeiten: Sigrun Schneggenburger als Frau I, die verstört in alten Briefen liest, Daniela Wagner (Frau B), die mehrmals emotional ausbricht, Karl M. Sibelius (Herr A), der Ticks auslebt, mild und in sich gekehrt Gerhard Brössner als Herr B. Suggestiv die minimalistische, live gespielte Musik von Peter Androsch. Ungeteilte Zustimmung beim Publikum.