1973 herrschte grosse öffentlichte Aufregung. Der niederländische Zoologe Nikolaas Tinbergen, der Wiener Bienenforscher Karl von Frisch, sowie sein Landsmann, der Verhaltensforscher Konrad Lorenz erhielten den Nobelpreis für Medizin und Physiologie. Letzterem galt aber nicht nur wegen der Stockholmer Ehrung das mediale Interesse, sondern auch wegen seiner persönlichen Vergangenheit. Doch die Aufregung legte sich wieder. Während die Erstgenannten in den Ruhmeshallen der Wissenschaft verschwanden, ist Konrad Lorenz als Begründer der vergleichenden Verhaltensforschung, als ‚Vater der Graugänse’, gar als ‚Gewissen der Nation’ noch in fast aller Munde. Über den Mann, der mit den Tieren, den Vögeln und den Fischen redete, redet man noch heute. Seit kurzem auch wieder über seine Vergangenheit.
Benedikt Föger und Klaus Taschwer haben nämlich ein lesenswertes Buch geschrieben und trotzen damit dem Aufruf verzweifelter Philosophen, nämlich zu vergessen, indem sie mit aussagekräftigen Dokumenten den wissenschaftlichen Karriereverlauf eines Mannes in Erinnerung rufen, der in enthusiastischer Überzeugung den nationalsozialistischen Weg vom antisemitisch-rassistischen Gedanken zur ‚endlösenden’ Tat wissenschaftlich untermauerte.
Der promovierte Mediziner und Zoologe, Konrad Lorenz, fühlte sich verkannt „unter der Regierung der schwarzen Schweinehunde“. Finanzielle Nöte, Habilitation (für Zoologie) nur mit grossen Schwierigkeiten - auch der ersehnte Direktorsposten des Tiergartens Schönbrunn blieb ihm verwehrt. Mit einem Tag im März 1938 war alles anders, „wir jubelten wie kleine Kinder – für Wissenschaftler ist es eine Erlösung“. Aber nur für arische. Während Lorenz’ Frau „im Brigittaspital durch Hinausschmiss polnischer Juden zur kommissarischen Leiterin der Kinderabteilung aufgerückt“ war, wurden von ihm die freigewordenen Stellen sondiert. Das Wiener Psychologische Institut etwa wollte Lorenz, gemeinsam mit dem SS-Mann Auersperg, wieder auf Vordermann bringen. Für ihn ging es nicht an, dass „die Humanpsychologie ... merklich von dem Gedankengut der jüdisch-daherredenden und wortschwelgenden Judengrössen durchsetzt ist. Eine der wenigen Fälle, wo ich das Schädlingstum der Juden uneingeschränkt anerkenne“. Und für Schädlinge hatte Lorenz sein Verständnis, das er aufgeregt zu Papier brachte. Nicht nur für ihn war naturgegeben, dass der ethisch-moralische Verfall mit der Domestikation des Menschen Hand in Hand gehe. „Rassepfleger“ sollten daher den „Volkskörper vor mit Ausfällen behafteten Elementen“ schützen. Und: „Sollte sich dagegen herausstellen, dass unter den Bedingungen der Domestikation keine Häufung von Mutationen stattfindet, (...) so müsste die Rassenpflege dennoch auf eine noch schärfere Ausmerzung ethisch Minderwertiger bedacht sein, als sie es heute schon ist.“ 1939 geschrieben, 1940 publiziert und man rief den politischen Biologen nach Königsberg, auf den Lehrstuhl, den einst Immanuel Kant innehatte. Ehrenamtlich folgte die Mitarbeit an der rassenpsychologischen Studie mit deutsch-polnischen Mischlingen in Polen, über deren eignungspsychologische Wertigkeit hinsichtlich einer möglichen Einbürgerung. Wert-Unwert; geeignet-ungeeignet - die SS zeigte grosses Interesse. Wenig später wollte das Konrad Lorenz nicht mehr interessieren, sondern vergessen. Benedikt Föger und Klaus Taschwer haben ein wichtiges Buch geschrieben, obwohl sie ihren Anspruch, das Leben und Werk von Konrad Lorenz in den Jahren 1930 bis 1950 im Detail nachzuzeichnen, nicht ganz erfüllen konnten. Flott geschrieben wirkt die Arbeit, oberflächlich gerät die wissenschaftshistorische Positionierung des Lorenz’schen Werkes, fragmentarisch bleiben die Ausleuchtungen biographischer Interdependenzen. Trotzdem: es tut der Anerkennung der Arbeit keinen Abbruch. Die Autoren erzählen eine nicht untypische Karrieregeschichte während des Nationalsozialismus, die einen selbsternannt ‚unpolitischen’ Wissenschaftler zu erkennen gibt, der sich für den Lohn gesellschaftlicher Anerkennung als Ideologe einem mörderischen System andient. Eine Karrieregeschichte, die abermals zur ernüchternden Erkenntnis führt: das sogenannte Böse ist banal. So wie es Konrad Lorenz war.
Benedikt Föger / Klaus Taschwer
Die andere Seite des Spiegels.
Konrad Lorenz und der Nationalsozialismus. 254 S. (Czernin Verlag, Wien).