Weg ins Leben


Arthur Alexander Becker: Mauthausen!
Schauspiel in drei Aufzügen (vier Bildern)

In: TAGEBUCH. Zeitschrift für Auseinandersetzung. Nr. 4. 2022. S. 55f.

 


Am 16. Mai 1946 fand im Salzburger Landestheater ein außergewöhnlicher Theaterabend statt. Die Uraufführung des Stücks „Der Weg ins Leben“ von Arthur Alexander Becker, der Inhalt und Botschaft seines Werks am selben Tag in den Salzburger Nachrichten ankündigte: Die letzten Tage vor dem Zusammenbruch im KZ Mauthausen. Ein paar aufrechte Kerle, die sich gegen die brutale SS-Wachmannschaft stemmen, um den Schritt zurück ins Leben zu schaffen – „ein Weg zur Erkenntnis, zur Wahrheit, zur Überwindung des Gewaltmenschentums.“


Der Autor wusste, was er auf die Bühne brachte. Er hatte den Originalsprech noch im Ohr, war er doch selbst im KZ Mauthausen interniert und lernte im Außenlager Wien-Schwechat vom „Kapo“ bis zum „Hilfsarbeiter“ den Auf- und Abstieg innerhalb der Häftlingsgesellschaft kennen. Die Befreiung durch die US-Army am 5. Mai 1945 erlebte Becker im Hauptlager Mauthausen, wo er bald als Vernehmer (Special Investigator) von einem War Crimes Investigation Team, das Kriegsverbrechen im KZ Mauthausen untersuchte, angeheuert wurde. Auf diese Weise bekam Becker noch viele Berichte zu hören, die er neben seinen eigenen Erfahrungen auf der Bühne in Salzburg wieder aufleben ließ.


Das Publikum bekam sie schonungslos zu hören: den Schutzhaftlagerführer, den Obersturmführer, den SS-Sturmführer, den politischen Häftling, den Blockältesten, der ein Krimineller, den Lagerältesten, der ein Halunke, den kleinen Dieb, der aber sonst ein guter Kerl war.


Zwei Monate nach der Aufführung erschien Beckers Theatertext unter dem Titel „Mauthausen!“ im Salzburger Ried-Verlag, der von Guido Knopp, einem ehemaligen Spanienkämpfer und KZ-Überlebenden kurz zuvor gegründet wurde.
Das Herausragende an Beckers Stück, ist dessen Intention, über die einzelnen Haftgruppen hinweg, das Bild einer brüderlichen Gemeinschaft der KZ-Überlebenden zu entwerfen. Mit eingeschlossen: die Kriminellen, die den grünen Winkel zu tragen hatten – so wie Becker selbst.


Die Herausgeber der aktuellen Publikation, Christian Angerer und Andreas Kranebitter, haben in ihrem ausgezeichneten Beitrag den Kontext des Bühnenstücks und so manche Hintergründe von Beckers gebrochenen Lebensweg erhellt. 17-mal war der 1890 geborene Becker vor seiner Verhaftung gerichtlich verurteilt worden. Scheckbetrügereien und  Urkundenfälschungen, mit denen er seine Frau und fünf Kinder aus der finanziellen Misere retten wollte, stigmatisierten ihn im Nationalsozialismus zum unverbesserlichen „Verbrechermenschen“, der dauerhaft aus der „Volksgemeinschaft“ auszuschließen sei. Das bedeutete: „Sicherungsverwahrung“ und schließlich Konzentrationslager.


Angerer und Kranebitter beschreiben einfühlsam Beckers zunehmend verbitterten Versuche nach Anerkennung, der nach der Befreiung kein Befreiter war, sondern vom Schriftsteller zum Kleinkriminellen mutierte und sich vergeblich bemühte eine Entschädigung zu erhalten. Mit Beckers tragischer Biographie werfen die Herausgeber ein Licht auf eine Häftlingsgruppe, „die aus der Erinnerungskultur zum KZ Mauthausen nach wie vor ausgeschlossen ist – auf die sogenannten ‚kriminellen‘ Häftlinge der Konzentrationslager. Der Subtext des Opferausschlusses lautet: Diese Häftlingsgruppe war zu Recht im KZ.“
Ein Subtext, der vielen den Weg ins Leben erschwerte.



Arthur Alexander Becker: Mauthausen! Schauspiel in drei Aufzügen (vier Bildern) Herausgegeben von Christian Angerer und Andreas Kranebitter. New academic press, 2021, 162 Seiten