An wen soll ich schreiben? An Gott?

Pressestimmen:


Reinhard Kager | Frankfurter Allgemeine Zeitung

Zwangsarbeiterdrama

Eine Linzer Uraufführung

Überall Steine: unterm Klavier zu einem steilen Haufen geschichtet, aus dem ein kärgliches Pflänzchen keimt; verstreut auch auf der ganzen Bühne. Diese Steine sollen Assoziationen an Bilder aus Mauthausen wecken, auf denen KZ-Häftlinge Felsbrocken über Treppen schleppen müssen. Der Text des Dramas bezieht sich auf das, was jahrzehntelang tabuisiert ward in Österreich. Der oberösterreichische Psychologe Karl Fallend hatte im Auftrag des Linzer Vöest-Alpine-Konzerns dessen Anfänge in den späten dreißiger Jahren erforscht, als die Stahlfabriken noch "Reichswerke-Hermann-Göring" hießen und Zwangsarbeiter aus Böhmen und Mähren, Serbien, Polen, Rußland und sogar aus Italien und Frankreich rekrutierten.

 

Aus der Studie wurde nun ein Theaterstück, eine Folge von Monologen, die auf den Aussagen der Opfer basieren. Ähnliches hatte 1987 Peter Sichrovsky mit "Schuldig geboren" unternommen, das unter der Regie von George Tabori uraufgeführt wurde und gleichfalls aus Interviews mit Naziopfern bestand. Daß Sichrovsky mittlerweile jener FPÖ angehört, die sogar zum Sturm auf den demokratischen Verfassungsgerichtshof bläst, zählt zu den Paradoxa der österreichischen Politik. Worunter auch der Umgang mit den ehemaligen Zwangsarbeitern gerechnet werden muß: Bis zum Jahr 2001 dauerte es, bis sich Österreich endlich dazu bereit erklärte, die Opfer offiziell zu entschädigen.

 

Insofern rührt Fallend an ein heißes Thema: "An wen soll ich schreiben? An Gott?" lautet die verzweifelt ironische Frage von Dr. Derid, der sich jahrelang vergebens mit der Bürokratie um die Anerkennung als Opfer herumschlagen mußte. Nicht zufällig bilden die Worte des nach Moldawien zurückgekehrten Universitätsprofessors den Titel von Fallends eineinhalbstündigem Stück, das nun im Linzer Landestheater uraufgeführt wurde. Die Lebensgeschichte des Dr. Derid dient als roter Faden, an dem die historischen Zeugnisse, von den ersten Eindrücken nach der Internierung bis zur Befreiung, sozusagen chronologisch aufgereiht hängt.

 

Daß die Heimkehr eines Teils der Opfer in ihre dann zum Ostblock vereisten Vaterländer mit der paradoxen und oft tödlichen Schwierigkeit verknüpft war, beweisen zu müssen, nicht mit dem Kriegsgegner kollaboriert zu haben, ist eine der überraschenden Erkenntnisse aus Fallends Material. Eine andere, kuriose: Daß in der Rückschau, die zwei anonym bleibende Frauen und zwei Männer rund um Dr. Derid, den Protagonisten, der als einziger einen Namen hat, entwickeln, sogar positive Eindrücke von Linz und dessen hügeliger Umgebung aufscheinen. Noch eine andere, skurrile: ein Fußballmatch des serbischen Arbeitstrupps gegen eine SS-Mannschaft. Die Erwähnung alltäglicher, banaler Vorgänge wechselt sich ab mit der Beschreibung traumatischer Erlebnisse: Normalität und Terror auf engstem Raum nebeneinander. So wird der Abend bewegend und beklemmend.

 

Auch um die Einsamkeit und Isolierung der Unterdrückten zu unterstreichen, greift Fallend zum Stilmittel des Monologs. Nur an jenen Stellen, an denen die furchtbaren Erfahrungen der einzelnen sich überschneiden, werden sie wie zu einer mehrstimmigen Schreckensfuge verdichtet, unterstützt durch die Musik des oberösterreichischen Komponisten Peter Androsch, der dem Szenario durch präpariertes Klavier, Baßklarinette und gestopft gespieltes Horn ein fremdes, trostloses tönernes Kolorit verleiht. Der Regisseur Nikolaus Büchel entgeht klug dem möglichen Doppelfehler solcher szenischen Versuche: der Leitartikeltheaterfalle wie der Betroffenheitstheaterfalle. Er setzt schlicht und ergreifend fünf verstörte Figuren in ein abgehalftertes Kaffeehaus, das ein wenig an die ausweglosen Bühneninnenräume Anna Viebrocks erinnert.

 

Büchel läßt diese verlorenen, sich langsam erinnernden Menschen auf wackligen Stühlen, zerschlissenen Sofas oder einfach unterm Klavier herumlungern. Während einer erzählt, vollführen die anderen zwanghafte Bewegungen, ordnen manisch irgendwelche Kartons oder Zettelkästen, stampfen, zeichnen rätselhafte Gesten in die Luft, schichten mühselig Steine. Sinnfällig wird so: sinnloses Tun in sinnloser Welt. Und so scheinen sie Kunstfiguren wie von Samuel Beckett, sind und bedeuten aber reale, historische Menschen - aus der österreichischen Vergangenheit: für heute. Verstörend und bestürzend.