An wen soll ich schreiben? An Gott?

Aus dem Programmheft:


Karl Fallend

Hoamatlaund

Besonders irritierend zeigte sich kontinuierlich, daß die historischen Orte des Forschungsgegenstands auch meine eigenen waren. Quasi wie ein roter Faden - der bei näherer Betrachtung sich als brauner offenbarte - durchzog meine Arbeit die Erkenntnis, wie sehr die Stadt Linz von den Spuren der nationalsozialistischen Zeit geprägt ist; dermaßen viele Orte, die ich als kleiner Junge spielerisch eroberte, an jene Zeit mahnten, ohne dessen gewahr zu sein. 1956 als Sohn eines Arbeiters geboren, der im Jahre 1950 in der VÖEST seine Zukunft fand, bin ich in den Hitler-Bauten des Arbeiterviertels Bindermichl aufgewachsen, das, wie die verstaatlichte VÖEST überhaupt, sozialdemokratisch positioniert war. Die Straße meiner ersten Schritte hieß deswegen – nach meinem kindlichen Empfinden seit ewig - nach dem Sozialisten und Arbeiterdichter Ferdinand Hanusch, währenddessen sie in ihrer Entstehung, nach dem Nationalsozialisten und Erbauer der Reichsautobahn, Dr. Todt-Straße bezeichnet worden war. In Sichtweite davon, die psychiatrische Anstalt Niedernhart, wo tausende Menschen durch ‚medizinische‘ Hand der Euthanasie zum Opfer fielen. Meine ersten Schi erprobte ich gleich in der Nähe am sogenannten ‚Tschechenberg‘, der – wie ich erst jetzt erfuhr - deswegen diesen Namen trug, weil ebendort das Lager der tschechischen Zwangsarbeiter lokalisiert war - und am Pichlingersee wußte ich durch den Test meiner ersten Taucherbrille, daß es sich um einen Schottersee handelt, aber nicht zwecks Errichtung der Linzer Betriebe der RWHG Berlin usw. usw. Eine Stimmung des ‚Unheimlichen‘ war im Laufe dieser Forschung eine stete Begleiterscheinung, die im direkten Kontakt mit meinen GesprächspartnerInnen Höhepunkte erreichen konnte. Als die öffentliche Diskussion über die Entschädigung ehemaliger ZwangsarbeiterInnen erschreckende Formen annahm – von “der ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich” (Jörg Haider) bis “die Juden treiben’s noch so weit, bis sie wieder eine auf den Deckel kriegen” (Johannes Asamer) war die ‚Wiederkehr des Verdrängten‘ jahrelang vernehmbar – beschloß ich, in der Diskrepanz dieser Wahrnehmungen darauf hinzuweisen, daß eine Forschungsarbeit wie diese auch verstärkt von einer Gefühlsreaktion begleitet ist, die in solchen Zusammenhängen selten beim Namen genannt wird: Scham.